Grundstückseigentümer kennen das Dilemma: Die Äste eines Baumes aus dem Nachbargarten hängen auf die eigene Terrasse, versperren den Weg zum Gartenhaus oder behindern die Einfahrt auf den Stellplatz. Die einfachste Möglichkeit, das Problem zu beseitigen, ist der Griff zu Gartenschere. Doch darf man die Äste vom Nachbargrundstück einfach abschneiden, obwohl der Baum gar nicht zu seinem Eigentum gehört? Wir verraten, welche Voraussetzungen laut aktueller Rechtslage dafür vorliegen müssen.

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Wie ist die Rechtslage?
Über dieses Thema hat der Bundesgerichtshof (BGH) bereits im Juni 2021 im Rahmen eines Nachbarschaftsstreits entschieden – und dem Nachbarn, auf dessen Grundstück die Äste ragten, unter bestimmten Voraussetzungen recht gegeben. Welche das sind, erklären wir mit Blick auf den Sachverhalt.
Ausgangspunkt des Streits vor Gericht waren überhängende Äste und herabfallende Nadeln und Tannenzapfen eines Baumes vom Nachbargrundstück, durch die sich der nebenan wohnende Nachbar gestört fühlte. Auf seine Bitten hin, die entsprechenden Äste zu entfernen, weigerte sich der Eigentümer des Baumes jedoch – sodass der betroffene Nachbar aus Frust die Äste selbst abschnitt. Der Baumeigentümer verwies anschließend darauf, dass der Baum durch den Rückschnitt seine Standfestigkeit verlieren und absterben würde und verlangte im Rahmen einer Unterlassungsklage, dass der Nachbar überhängende Zweige über fünf Metern in Zukunft nicht mehr entfernen dürfe. Amts- und Landgericht gaben dem Baumeigentümer zunächst recht. Der BGH als nächsthöhere Instanz hob die Entscheidung des Landgerichts jedoch auf und verwies den Fall zur erneuten Prüfung zurück ans Landgericht.

Denn eine Entscheidung für oder gegen den Kläger hängt in diesem Fall laut BGH davon ab, ob die Nutzung des Nachbargrundstücks durch die überhängenden Äste beeinträchtigt wird. Als Beeinträchtigung gelten laut einem vorangehenden BGH-Urteil aus dem Jahr 2019 auch herunterfallende Zapfen und Nadeln vom Baum.
Nachbar darf von gesetzlichem Selbsthilferecht Gebrauch machen
Liegt eine solche Beeinträchtigung vor und fühlt sich ein Nachbar durch den Baum eingeschränkt, hat er das Recht, von seinem Selbsthilferecht nach § 910 Absatz 1 BGB Gebrauch zu machen. Bedeutet: Die überhängenden Äste darf er einfach abschneiden oder absägen – auch dann, wenn die Standfestigkeit des Baumes bedroht ist und dadurch ein Absterben droht.
Der Grund dafür: Die Verantwortung für einen Baum liegt allein beim Eigentümer. Dieser ist auch dafür verantwortlich, dass der Baum nicht über die Grundstücksgrenzen hinauswächst. Kommt er dieser Pflicht nicht nach und entfernt die Äste trotz einer Fristsetzung des Nachbarn nicht, darf dieser auch ohne Zustimmung des Eigentümers tätig werden und die Äste auf eigene Faust beseitigen. Einen Anspruch auf Schadensersatz hat der Eigentümer in dem Fall dann nicht.

Info: Auch bei der Ausführung des Selbsthilferechts müssen naturschutzrechtliche oder behördliche Beschränkungen und Vorgaben eingehalten werden. Dazu zählt zum Beispiel auch die Beachtung der jährlichen Schonzeit vom 1. März bis 30. September, während der Vögel ihre Jungen aufziehen. In dieser Zeit ist es laut Bundesnaturschutzgesetz verboten, Bäume zu fällen oder zu schneiden.


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