Auf die Frage „Was verbinden Sie mit barrierefreiem Bauen?“, werden die meisten Deutschen folgende Antworten liefern: „Barrierefreies Bauen wirkt kalt und steril. Barrierefreies Bauen stellt Funktionalität über Design. Barrierefreies Bauen ist viel zu teuer. Barrierefreies Bauen brauche ich nicht.“ Keine dieser Aussagen ist richtig. Und das Fatale ist, dass in Deutschland schon jetzt das Angebot an barrierefreien Wohnungen und Häusern viel zu gering ist im Vergleich zum Bedarf. Und das Missverhältnis wird sich noch verschärfen.
Dieser Artikel bietet Ihnen Antworten zu folgenden Fragen:
- Was versteht man unter barrierefreiem Bauen?
- Welche Gründe sprechen für das barrierefreie Bauen?
- Wie teuer ist barrierefreies Bauen?
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Definition: Was ist barrierefreies Bauen?
Bei der Definition von „barrierefreiem Wohnen“ geht es genau genommen um das barrierefreie Planen, als Vorstufe des Bauens oder Sanieren, und das barrierefreie Bauen selbst. Barrierefreies Bauen bezieht sich sowohl auf den öffentlichen Raum, also öffentliche Gebäude, Straßen, Haltestellen etc., als auch private Wohnungen und Häuser. Barrierefreiheit ist dann gegeben, wenn die Häuser oder andere Einrichtungen von allen Menschen ohne fremde Hilfe und ohne jegliche Einschränkungen genutzt werden können. Diese Definition ist sicher ein wenig zu weit gefasst, denn es gibt einfach körperliche und geistige Einschränkungen, die ein Leben ohne fremde Hilfe faktisch unmöglich machen.
Was barrierefreie Wohnungen und Häuser, aber auch öffentliche Bereiche jedoch leisten müssen, ist, dass auch schwerstbehinderte Menschen und andere Menschen mit maximalem Hilfebedarf diese nutzen können, wenn sie von entsprechendem persönlichen Pflege- oder Hilfepersonen begleitet werden. Konkret bedeutet das: Ein Mensch mit einer hohen Lähmung kann sich in einem E-Rolli in seiner barrierefreien Umgebung frei bewegen. Dieser Mensch wird aber ohne fremde Hilfe nicht allein ins Bett gelangen oder Essen zubereiten können.
Barrierefreies Planen und Bauen hat jedoch nicht nur Menschen mit Behinderungen im Blick: Auch Menschen ohne eine Behinderung im Sinne des Gesetzes profitieren von einem barrierefreien Umfeld: Eltern mit Kinderwagen können Treppen ebenso schlecht überwinden wie Menschen, die im Rollstuhl sitzen oder auf einen Rollator angewiesen sind. Und auch Menschen, die aufgrund eines Unfalls auf Krücken angewiesen sind, empfinden Treppen als Barriere. Ähnlich sieht es mit zu kleiner Schrift auf Fahrplänen von Bussen, Bahnen und Zügen aus, die beispielsweise von älteren Menschen mit nachlassender Sicht nur sehr schwer zu lesen sind.
Als Orientierungsmaßstab für barrierefreies Planen und Bauen gilt die europäische Norm EN 17210, Ausgabe 2021, Barrierefreiheit und Nutzbarkeit der gebauten Umgebung – Funktionale Anforderungen, beschreibt Anforderungen an Barrierefreiheit im Bauwesen. In Deutschland gilt für privates Bauen die DIN 18040-2 Barrierefreies Bauen – Planungsgrundlagen – Teil 2: Wohnungen.
Barrierefreier Wohnraum: Was bedeutet das konkret?
Bei barrierefreiem Wohnraum denken die meisten Menschen zunächst an sterile Badezimmer mit dem Charme einer Krankenhausnasszelle. Dabei hat Barrierefreiheit zunächst einmal gar nichts mit dem Design zu tun, sondern es geht bei der Planung und der Ausführung darum, folgende Ziele zu erreichen:
- Der Wohnraum ist sicher nutzbar und Installationen und Einrichtungen sind gut zugänglich/erreichbar.
- In der Wohnung wird auf Schwellen und schmale Durchgänge sowie Treppen verzichtet, um die Mobilität zu sichern und Stürzen vorzubeugen.
- Die Wohnung ist so geplant, dass großzügige Bewegungsflächen vorhanden sind, damit auch mit Rollstuhl oder Rollator alle Räume erreicht und genutzt werden können.
- Alle aufgeführten Punkte müssen für ein barrierefreies Wohnumfeld auch für den Zugangsbereich zur Wohnung sowie den Außenbereich des Hauses erfüllt sein.
Eine barrierefreie Wohnung zeichnet sich insbesondere durch folgende Merkmale aus:
- Räume, die groß genug sind, damit diese auch mit Rollstuhl oder Rollator genutzt werden können. Dies gilt insbesondere für Diele, Badezimmer und Küche. In einer solchen Diele hat dann aber auch Kinderwagen Platz.
- Installationen wie Lichtschalter, Steckdosen aber auch Türgriffe sind auf einer Höhe angebracht, die auch durch Rollstuhlfahrer oder kleinere Menschen (auch Kinder) erreichbar sind.
- In Küche und Bad sind Waschbecken, aber auch Arbeitsflächen unterfahrbar, sodass sie auch von Rollstuhlfahrern genutzt werden können.
- Eine barrierefreie Gestaltung eines Badezimmers umfasst u. a. Haltegriffe, eine erhöhte Toilette, eine ebenerdige Dusche und unter Umständen ein höhenverstellbares Waschbecken.
- Verzicht auf Schwellen bei Terrassen- oder Balkontüren.
- Ausstattung von Rollläden mit elektrischem Antrieb.
- Flexible Raumaufteilungen, die unterschiedliche Nutzungsarten eines Raums ermöglichen. So kann in einem Haus, wenn dies nötig werden sollte, ein Teil des Wohnzimmers durch Schiebewände abgetrennt zu einem Schlaf- oder Pflegezimmer werden.
- Installation von Treppenliften oder bei kleineren Innen- und Außentreppen von Rampen.
Wichtig: Auch beim barrierefreien Bauen haben Bauherren die Möglichkeit, den Wohnstil selbst zu bestimmen. Es ist keinesfalls so, dass barrierefreie Immobilien kalt, steril und uniform aussehen müssen.
Nutzen: Welche Vorteile bietet barrierefreies Wohnen?
Wenn von barrierefreiem Bauen die Rede ist, denken die meisten Menschen an Wohnraum, der auf die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen abgestimmt ist. Dabei ist die Zielgruppe viel weiter gefasst, für die barrierefreies Bauen Vorteile bringt. Grundsätzlich kann man sagen, dass barrierefreier Wohnraum für alle Menschen Vorteile bringt. Denn auch wenn Stolperfallen für ältere Menschen oder Menschen mit Behinderung gefährlicher sind als für junge, gesunde Menschen, so können auch letztere über Schwellen stolpern und sich verletzen. Außerdem werden die meisten Menschen ab einem gewissen Alter gebrechlich und haben dann deutliche körperliche und kognitive Einschränkungen, vielfach im Ausmaß einer anerkannten Behinderung. Auch Familien mit kleinen Kindern profitieren von barrierefreien Wohnungen. Und schließlich können gerade fitte, aktive, sportliche Menschen Unfälle erleiden (beim Sport), die sie vorübergehend körperlich massig einschränken. Ein barrierefreies Wohnumfeld sorgt dann dafür, dass die Betroffenen sich auch in dieser Zeit selbstständig versorgen können.
Konkret bietet eine barrierefreie Wohnung folgende Vorteile:
- Menschen mit Behinderung können allein (oder mit einer Pflegeperson) dort wohnen.
- Menschen können im Alter, wenn bei ihnen körperliche Einschränkungen vermehrt auftreten, in der eigenen Wohnung wohnen bleiben. Eine barrierefreie Wohnung erfüllt zudem die Anforderungen, damit eine Pflegekraft den alten Menschen auch zu Hause pflegen kann.
- Nach einem Unfall (zum Beispiel beim Skifahren) können Betroffene auch dann schnell wieder ins eigene Zuhause, wenn sie auf Krücken oder einen Rollstuhl angewiesen sind.
- Familien mit kleinen Kindern profitieren auf vielfältige Weise: Kinderwagen können bis in die Wohnung gebracht werden, ohne dass diese Treppen hinauf getragen werden müssen; ebenerdiges Wohnen verringert die Gefahr von Treppenstürzen; höhenverstellbare Waschbecken im Badezimmer erleichtern den Alltag, da diese auch von kleinen Kindern ohne Hocker erreichbar sind; großzügig geplante Badezimmer erleichtern das morgendliche Fertigmachen im Bad
- Finanzielle Entlastung, da in den meisten Fällen kein Umzug ins Altenheim erforderlich wird.
Kosten: Wie teuer ist barrierefreies Bauen wirklich?
Viele Menschen lehnen barrierefreies Bauen aus ästhetischen Gründen ab. Ein weiteres Argument gegen die barrierefreie Planung ist das Kostenargument: Die meisten Menschen gehen davon aus, dass barrierefreies Bauen mit deutlich höheren Kosten als das konventionelle Bauen verbunden ist. Dies ist aber nicht der Fall, wie die bfb barrierefrei Trendstudie 2019 ergab. Danach gilt für barrierefreies Bauen Folgendes:
- 25 % der Befragten gaben an, dass barrierefreies Bauen nahezu kostenneutral sein kann. Voraussetzung war, dass dem Bau eine gründliche Planung vorausgegangen war.
- Bei über der Hälfte der Befragten (55 %) betrugen die Mehrkosten maximal 5 %.
- Massive Mehrkosten von bis zu 25 % gaben lediglich 10 % der Befragten an.
Das Problem ist, dass die allermeisten Bestandsimmobilien nicht annähernd barrierefrei erbaut sind. Diese müssen also barrierefrei saniert werden. Je nachdem auf welchen Standard diese Immobilien gebracht werden sollen, ist dies mit einem enormen Aufwand sowie entsprechend hohen Kosten verbunden. Barrierefreies Sanieren ist also deutlich teurer, als wenn eine Wohnung einfach nur kernsaniert oder gar neu renoviert wird. Dies liegt insbesondere an folgenden Punkten:
- Zimmergrößen müssen nachträglich angepasst werden.
- Sanitärinstallationen müssen komplett neu gemacht werden. Zum Teil sind die vorhandenen Badezimmer auch zu klein, um sie barrierefrei zu gestalten.
- Stromleitungen müssen neu verlegt oder verändert werden, damit Schalter den Anforderungen einer barrierefreien Immobilie entsprechen.
- Fußböden müssen im Höhenniveau angepasst werden, um Schwellen zu vermeiden.
- Türdurchgänge müssen verbreitert werden, damit diese auch mit Rollator oder Rollstuhl zu nutzen sind.
- Flure und andere Durchgänge müssen angepasst werden.
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Wie bereits dargelegt, profitieren keineswegs nur Menschen mit Behinderung von einem barrierefreien Wohnumfeld. Zudem haben bereits heute 13 % der Deutschen eine Behinderung. Tendenz steigend. Denn die meisten Menschen mit Behinderung haben eine sogenannte erworbene Behinderung. Das bedeutet, dass sie nicht mit einer Behinderung geboren wurden. Nur drei Prozent aller Behinderungen sind angeboren. Alle anderen wurden im Laufe des Lebens durch Krankheiten oder Unfälle erworben. In den meisten Fällen bedeutet das, dass die Behinderungen durch das fortschreitende Alter verursacht wurden. Und altersbedingte Behinderungen treten vermehrt ab einem Alter von 65 Jahren auf.
In Deutschland machen die über 65-Jährigen aktuell einen Anteil von 22 Prozent der Bevölkerung aus. Davon zählen schon heute 2,2 Millionen Menschen als hochbetagt, sie sind also über 85 Jahre alt. Des bedeutet wiederum, dass es in wenigen Jahren einen enormen Anstieg an hochbetagten Menschen zu verzeichnen sein wird. Diese wiederum haben statistisch gesehen meisten eine Behinderung, etliche sind sogar schwer oder schwerstbehindert. Damit diese Menschen möglichst lange in ihrer eigenen Wohnung selbstständig leben können oder, wenn sie auf Hilfe angewiesen sind, in ihrer Wohnung versorgt werden können, müssen ausreichend barrierefreie Wohnungen vorhanden sein.
Die aktuelle Situation ist jedoch eine andere: Nur zwei Prozent aller Wohnungen und Einfamilienhäuser sind in Deutschland barrierefrei oder annähernd barrierefrei. Und selbst bei Neubauten sind lediglich 20 Prozent barrierefrei und damit viel zu wenig, um den geringen Bestand an barrierefreien Immobilien auszugleichen. Dies führt dazu, dass 85 % aller Seniorenhaushalte in Wohnungen leben, die keinen stufenlosen Zugang haben. Solche Aspekte sind jedoch Voraussetzung dafür, dass Senioren im Alter in ihrer Wohnung bleiben können. Der Bedarf an barrierefreien Bestandsimmobilien reicht also nicht einmal für die Altersgruppe, in der dies zwingend notwendig wäre. Für Familien mit kleinen Kindern ist der Weg in eine barrierefreie Wohnung in der Regel nur dann möglich, wenn sie selbst die Immobilie bauen oder barrierefrei sanieren.
Fazit
Barrierefreies Bauen ist in Deutschland mit vielen Vorurteilen verbunden: Barrierefreie Immobilien gelten als steril, kalt und das Gegenteil von stylisch und wohnlich. Dabei hat barrierefreies Bauen nichts mit dem Design zu tun. Barrierefreies Bauen kann in nahezu jedem gewünschten Innendesign umgesetzt werden. Vielmehr geht es darum, Wohnraum zu schaffen, der auf Barrieren wie Schwellen, zu schmale Türdurchgänge und Stufen zu verzichten. Auch besteht in Deutschland kaum Bewusstsein dafür, dass barrierefreie Immobilien nicht nur für Menschen mit Behinderung, sondern auch für Senioren, aber auch Familien mit kleinen Kindern viele Vorteile bieten. All das führt dazu, dass in Deutschland nur ein sehr geringer Anteil der Wohnungen und Einfamilienhäuser ansatzweise barrierefrei errichtet sind.
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