In Artikel 3 des deutschen Grundgesetzes heißt es: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Das bedeutet, dass Menschen mit Behinderung im gleichen Umfang wie Menschen mit Behinderung Zugang zu allen Bereichen des Lebens haben müssen. Allerdings gibt es bis heute zu viele Barrieren, die genau diese Teilhabe verhindern. Beispiele sind: Geschäfte und Arztpraxen, die nicht barrierefrei gestaltet sind, Wohnräume, die nicht barrierefrei sind und Unternehmen, die nicht barrierefreie sind. Noch mehr Barrieren gibt es für Menschen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind. Daher stellt sich die Frage: Wie sieht eigentlich die rechtliche Seite aus? Welche rechtlichen Regelungen gibt es, wenn es um das Thema barrierefreies Bauen geht?
In diesem Artikel erfahren Sie,
- welche rechtlichen Regelungen es auf internationaler Ebene gibt,
- welche auf Bundesebene gelten,
- welche Unterschiede es zwischen den Bundesländern gibt und
- warum die fehlende rechtliche Verbindlichkeit nicht nur eine Minderheit in der Gesellschaft betrifft.
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Hintergrund: Was hat barrierefreies Bauen mit Gleichbehandlung und Teilhabe zu tun?
In den vergangenen Jahrzehnten hat ein Wandel in der Behindertenpolitik stattgefunden: Es geht weg von der Mitleidspolitik hin zu: „Wir wollen in einer Gesellschaft leben, in der alle mitmachen können.“ Dieser Wandel manifestiert sich unter anderem darin, dass im November 1994 der oben bereits erwähnte Artikel 3, Absatz 3 um den Satz „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ ergänzt wurde.
Barrierefreies Bauen macht für Menschen mit Behinderung in zahlreichen Lebensbereichen einen enormen Unterschied. Dazu gehören vor allem:
- die Frage, ob barrierefreier Wohnraum in ausreichendem Umfang und in allen Orten und Wohngebieten zur Verfügung steht
- die Frage, in welchen Geschäften Menschen mit Behinderung einkaufen können
- die Frage, ob Menschen mit Behinderung sich jeden Arzt aussuchen können oder ob mangelnde Barrierefreiheit sie hier einschränkt
- die Frage, ob alle Schulen, Universitäten und sonstige Bildungseinrichtungen für Menschen mit Behinderung vollumfänglich nutzbar sind
- die Frage, ob Menschen mit Behinderung ihre Familien, Freunde und Bekannte in deren Zuhause besuchen können
- die Frage, ob Menschen mit Behinderung Restaurants, Cafés, Kneipen und Co. nutzen können
- die Frage, ob Museen, Theater und Kinos für Menschen mit Behinderung zugänglich sind
- die Frage, ob Menschen mit Behinderung öffentliche Verkehrsmittel nutzen können oder ob Bahnsteige, Anzeigetafeln und Co. eine unüberwindbare Hürde darstellen
Barrierefreies Bauen: Überblick über die gesetzlichen Regelungen
Neben der grundgesetzlichen Verankerung des Rechts auf Gleichbehandlung von Menschen mit und ohne Behinderung gibt es eine Vielzahl weiterer gesetzlicher Regelungen auf unterschiedlichen Ebenen:
- UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen
- EU Gleichbehandlungsrichtlinie
- Behindertengleichstellungsgesetz (BGG)
- Sozialgesetzbuch (IX)
- Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
- Musterbauordnung und Landesbauordnungen
- Landesgleichstellungsgesetz
UN-Behindertenrechtskonvention
Von der UNO wurde im Dezember 2006 die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung verabschiedet. Diese wurde im März 2009 in Deutschland ratifiziert. Die UN-Behindertenrechtskonvention regelt in drei Artikeln Details, die für die Gestaltung barrierefreier baulicher Anlagen und Einrichtungen von maßgeblicher Bedeutung sind:
- Artikel 9: Zugänglichkeit,
- Artikel 24: Bildung und
- Artikel 27: Arbeit und Beschäftigung.
EU Gleichbehandlungsrichtlinie
Die EU Gleichbehandlungsrichtlinie (2000/78/EG) besagt:
„Diskriminierungen wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung den im EG-Vertrag festgelegten Zielen widersprechen.“
Dem EG-Vertrag liegen folgende Leitgedanken zugrunde:
- Erreichung eines hohen Beschäftigungsniveaus
- Hohes Maß an sozialem Schutz
- Erhöhung von Lebensstandards und Lebensqualität
- Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts
- Förderung der Freizügigkeit
Diese Ziele sollen ausdrücklich für alle Menschen, mit und ohne Behinderung, verfolgt werden.
Behindertengleichstellungsgesetz
Das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) bildet eine wesentliche gesetzliche Grundlage für die Bauten des Bundes, wenn es um das Thema Barrierefreiheit geht. Danach gilt für barrierefreie Bauten folgende Definition:
„Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für behinderte Menschen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind.“
Das BGG ist ein Bundesgesetz und gilt dementsprechend für Bauten, die im Eigentum oder in der Verantwortung des Bundes liegen. Das BGG gilt daher nicht für Bauten, die den Bundesländern gehören oder von diesen genutzt werden. Auf Bundesebene gelten die Landesgleichstellungsgesetze. Laut Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen gibt es eine angestrebte Selbstverpflichtung des Bundes. Dementsprechend sollen entsprechend dem BGG die „allgemein anerkannten Regeln der Technik“, diese finden sich in der DIN-Norm 18040.
DIN 18040
Grundsätzlich gilt für DIN-Normen laut dem Deutschen Institut für Normung, dass es sich hierbei eben gerade nicht um Gesetze, sondern um DIN-Normen handelt. „Die Anwendung von Normen ist grundsätzlich freiwillig. Normen sind nicht bindend, das unterscheidet sie von Gesetzen.“ Anders sieht ist die Frage der Rechtsverbindlichkeit jedoch zu bewerten, wenn „Gesetze oder Rechtsverordnungen wie zum Beispiel EU-Richtlinien auf sie verweisen. Daneben können Vertragspartner die Anwendung von Normen auch in Vereinbarungen verbindlich festlegen.“
Hinzu kommt, dass DIN-Normen den Stand der Technik widerspiegeln und damit „die Einhaltung von Normen eine gewisse Rechtssicherheit“ bietet. „Im Rechtsstreit wird ein Richter der Norm regelmäßig den „Beweis des ersten Anscheins“ zubilligen. Gerichte sehen DIN-Normen als allgemein anerkannte Regeln der Technik an. Wird ein Produkt unter Einhaltung von DIN-Normen gefertigt, gehen Gerichte davon aus, dass ein Produkt die verkehrsübliche Beschaffenheit aufweist.“
Die DIN-Norm 18040 hat das Ziel, bauliche Anlagen in der Form barrierefrei zu gestalten, dass diese auch von Menschen mit Behinderung
- in der allgemein üblichen Weise,
- ohne besondere Erschwernis und
- grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind.
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Die DIN-Norm berücksichtigt dabei die Bedürfnisse von Menschen mit folgenden Beeinträchtigungen:
- Sehbehinderung
- Hörbehinderung
- motorische Einschränkungen (Erfordernis der Nutzung von Mobilitätshilfen und Rollstühlen)
- Groß- und Kleinwuchs
- kognitive Einschränkungen
- Kinder, Heranwachsende, Erwachsene und Senioren
Dabei ist es unerheblich, ob es sich um eine angeborene Behinderung handelt, die Einschränkung durch einen Unfall oder eine Erkrankung erworben ist oder auf dem normalen Alterungsprozess beruht.
Sozialgesetzbuch – Neuntes Buch (SGB 9)
Das SGB 9 regeln den Themenkomplex „Rehabilitation und Teilhabe“. Mit den Regeln dort soll sichergestellt werden, dass auch Menschen mit Behinderung gleichberechtigt am Arbeitsleben teilhaben können. Hier werden Maßnahmen geregelt, die erforderlich sind, damit auch Menschen mit Behinderung Ausbildungen absolvieren und eine Arbeit aufnehmen können – gleichberechtigt mit Menschen ohne Behinderung. Hierzu gehört auch, dass Ausbildungsstätten und Arbeitsplätze barrierefrei gestaltet sind.
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)
Beim AGG handelt es sich um das einheitliche zentrale Regelungswerk in Deutschland zur Umsetzung von vier europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien, die seit dem Jahr 2000 erlassen worden sind. Mit dem AGG sollen Benachteiligungen beseitigt werden, die unter anderem aufgrund einer Behinderung bestehen. Vor allem Beeinträchtigungen in folgenden Bereichen gilt es zu beseitigen:
- Zugang zur Berufsausbildung, Weiterbildung, Umschulung und praktischer Berufserfahrung
- Zugang zu unselbstständiger und selbstständiger Erwerbstätigkeit
Dieses Gesetz betrifft den Aspekt des barrierefreien Bauens bei Schulen, Hochschulen sowie anderen Ausbildungsstätten und Unternehmen.
Musterbauordnung (MBO) und Landesbauordnungen
Bei der Musterbauordnung handelt es sich um eine Verordnung, die von der Bauministerkonferenz erarbeitet wurde. Da in Deutschland jedoch Baurecht zu weiten Teilen auf Landesebene geregelt wird, hat jedes Bundesland eine eigene Landesbauordnung. Diese orientieren sich zwar in weiten Teilen an der Musterbauordnung. Aber es handelt sich dabei eben lediglich um eine Grundlage zur Erarbeitung der jeweiligen Landesbauordnungen. Die Unterschiede, gerade auch was die Paragrafen zur Barrierefreiheit betrifft, sind in einigen Landesbauordnungen daher erheblich.
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Landesgleichstellungsgesetz
Das Landesgleichstellungsgesetz existiert, weil in Deutschland einige Rechtsbereiche auf Bundesebene, andere auf Landesebene und wieder andere auf kommunaler Ebene geregelt werden. Um das Benachteiligungsverbot, das im BGG festgeschrieben ist, auch auf Landesebene und kommunaler Ebene wirksam werden zu lassen, bedarf es des Landesgleichstellungsgesetzes. Hierbei gilt wieder: Es gibt in jedem Bundesland ein eigenes Landesgleichstellungsgesetz.
In Artikel 1 des BGG ist geregelt, was die Zielsetzung der Landesgleichstellungsgesetze ist:
„Ziel dieses Gesetzes ist es, die Benachteiligung von behinderten Menschen zu beseitigen und zu verhindern sowie die gleichberechtigte Teilhabe von behinderten Menschen am Leben in der Gesellschaft zu gewährleisten und ihnen eine selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen. Dabei wird besonderen Bedürfnissen Rechnung getragen.“
Barrierefreies Bauen: Relevanz für weite Teile der Bevölkerung
Wie der Überblick über die rechtlichen Rahmenbedingungen zum Thema barrierefreies Bauen gezeigt hat, sollen die Regelungen Barrieren für alle Menschen mit Einschränkungen bringen. Eine Einschränkung liegt demnach immer dann vor, wenn ein Mensch von der durchschnittlichen Größe, den durchschnittlichen kognitiven Fähigkeiten und der durchschnittlichen Ausprägung der Sinneswahrnehmung abweicht. Daher sind barrierefreie Bauten auch folgende Menschen eine Erleichterung:
- Kinder
- Senioren
- Chronisch oder stark akut Erkrankte
Fazit
Die rechtlichen Regelungen zum barrierefreien Bauen finden sich auf unterschiedlichen Ebenen:
- EU-Recht
- Bundesrecht
- Landesrecht
Die rechtlichen Grundlagen zeigen deutlich auf, dass barrierefreies Bauen auf die Bedürfnisse von einem großen Teil der Bevölkerung abzielt. In Anbetracht dieser Tatsache ist es verwunderlich, dass sich sowohl in öffentlichen Bereichen als auch im privaten Wohnumfeld nach wie vor so viele Barrieren finden.
Typische Barrieren im Wohnraum erkennen
Hürden und Barrieren in Bestands- und Neubauten wahrnehmen Die rechtliche Regelung, was bei Wohnräumen als Barriere gilt und was im… weiterlesen